Warum kämpfen wir? Und wie hören wir auf.
Imitation und Streit. Reclam 2022.
Wir leben zwar in „der besten aller möglichen Welten“ und rein statistisch wird es in Deutschland, was körperliche Gewalt angeht, sogar immer besser, aber wir fragen uns dennoch: Warum der Streit? Warum der Krieg? Nach Ansicht von René Girard (1923-2015), Historiker, Anthropologe und Religionswissenschaftler, haben Konflikte ihren Ursprung im grundsätzlich angelegten „mimetischen (nachahmenden) Verlangen“. Zwei Menschen sind Freunde, weil sie dasselbe und gleiche begehren: dasselbe Schulfach, die gleichen Autos, die gleichen Hobbies usw.. Die Freundschaft kippt unerwartet in ihr Gegenteil in dem Moment, wo sie dasselbe Mädchen lieben. Sie werden Feinde, weil sie etwas begehren, das sie nicht teilen können. Mich erinnerte das an den palästinensisch-israelischen Konflikt, wo zwei Bevölkerungen, die unglaublich viel gemeinsam haben, an einem Symbol (Jerusalem) zu zerbrechen drohen, das sie gemeinsam begehren, aber nicht teilen können. Die Texte helfen, weil man die Mechanismen und Schlüsselbegriffe, wie z.B. auch den des Sündenbocks und damit die Aktualität der Passion von Jesus besser verstehen lernt.
Darüberhinaus lernt man: Im mimetischen Verlangen werden iPhones gekauft, Diäten gemacht und vieles andere mehr und am Ende nicht nur Kriege begonnen, sondern möglicherweise bestimmte Landstriche auf dieser Erde unbewohnbar gemacht, weil unser Begehren ein Ausmaß angenommen hat, das unseren Planeten und uns restlos überfordert. Der letzte Gedanke macht Girard »zum Theoretiker der Stunde«.
Thomas Dallendörfer