Versöhnung

Vergebung und Versöhnung

Sich der eigenen Schuld zu stellen, gehört zur Würde des Menschen. Ich bin schuldfähig. Wenn ich meine Schuld verharmlose, indem ich nach Entschuldigungen suche oder die Schuld auf andere schiebe, dann beraube ich mich der Würde, dass ich schuldig werden kann. Schuld ist immer Ausdruck meiner Freiheit. Die Entschuldigung oder die Verharmlosung der Schuld nehmen mir meine Freiheit. Indem ich die Verantwortung für meine Schuld übernehme, verzichte ich auf alle Rechtfertigungsversuche oder auf die Schuldzuweisungen an andere. Das ist die Bedingung dafür, dass ich als Mensch innerlich weiterkomme, dass ich aus dem Gefängnis der permanenten Selbstbestrafung und Selbsterniedrigung ausbreche und zu mir selber finde. Das Eingeständnis der Schuld gegenüber einem Menschen führt oft zur Erfahrung einer grösseren Nähe und eines tieferen Verständnisses füreinander.

Die Versöhnung mit sich selbst bedeutet Ja zu sagen zu dem, der ich geworden bin, Ja zu sagen zu meinen Fähigkeiten und Stärken, aber auch zu meinen Fehlern und Schwächen, zu meinen Gefährdungen, zu meinen empfindlichen Stellen, zu meinen Ängsten, zu meiner depressiven Neigung, zu meiner Bindungsunfähigkeit, zu meinem geringen Durchhaltevermögen. Ich muss liebevoll auf das schauen, was mir gar nicht liegt, was meinem Selbstbild so ganz und gar widerspricht, auf meine Ungeduld, auf meine Angst, auf mein geringes Selbstwertgefühl. Das ist ein lebenslanger Prozess. Denn auch wenn wir meinen, wir hätten uns längst ausgesöhnt mit uns selbst, so tauchen immer wieder Schwächen in uns auf, die uns ärgern, die wir am liebsten verleugnen würden. Dann gilt es von neuem, Ja zu sagen zu allem, was in uns ist.

Irgendwann einmal müssen wir uns aussöhnen mit allem, was wir erlebt und erlitten haben. Nur wenn wir bereit sind, uns auch mit unseren Wunden auszusöhnen, können sie sich wandeln. Für Hildegard von Bingen ist es die eigentliche Aufgabe des Menschen, seine „Wunden in Perlen zu verwandeln“. Das gelingt aber nur, wenn ich „ja“ sage zu meinen Wunden, wenn ich aufhöre, andere dafür verantwortlich zu machen. Die Versöhnung mit meinen Wunden geht allerdings erst einmal über das Zulassen des Schmerzes und der Wut denen gegenüber, die mich verletzt haben.

 gefunden am 31.03.  im Kirchenkompass St.Gebhard Konstanz: Anselm Grün, „Vergiss das Beste nicht“, Herder-Verlag