Fanatismus heute

Wenn die Begeisterung keine Grenzen kennt

Sie erschrecken uns immer wieder: Bilder und Parolen von sportlichen, religiösen oder auch musikalischen Fanatikern. Oft werden heute auch Menschen, die konsequent nach der Bibel leben, als Fanatiker beschimpft. Wo beginnt der Fanatismus?

„Joggeli“ – was für nicht Eingeweihte wie der Name eines Wellensittichs klingt, ist für einen echten Basler der Inbegriff für Friede, Freude, Eierkuchen, Erfolg und vor allem den FC Basel! Der St. Jakob-Park in Basel, im Volksmund eben das „Joggeli“, ist für Schweizer Verhältnisse geradezu phänomenal. Während in vielen anderen Schweizer Stadien der Speaker jeden Zuschauer beinahe persönlich begrüssen kann, so im Stil: „Schön, dass du so zahlreich gekommen bist!“, ist eben dieses „Joggeli“ fast immer völlig ausverkauft und mit 30’000 Personen prall gefüllt. Die Stimmung ist auch dementsprechend grossartig. Das muss sogar ein Zürcher neidlos attestieren! Es mag einige wenige geben, die über die Stränge hauen und sehr negativ auffallen, aber ansonsten läuft meistens alles friedlich ab. Es sind halt gute Fans, die sich das Motto „Wir wollen fairen Sport!“ auf die Fahne geschrieben haben.

Stimmung im „Joggeli“
Das „Joggeli“ am 13. Juni 2004: Dann wird das Stadion hoffentlich auch gefüllt sein, allerdings nicht wegen dem FCB, sondern wegen dem Christustag. Da treffen sich Tausende von gläubigen Christen aus verschiedenen Kirchen und Freikirchen, um gemeinsam den lebendigen Gott zu feiern. Die Stimmung wird hoffentlich mindestens ebenso gut sein wie bei den Spielen des FC Basel. Doch was sind das für Menschen, die an diesem speziellen Anlass teilnehmen? Sind das jetzt einfach „normale“ Christen, oder geht es da schon etwas weiter: Sind das Fanatiker, Fundamentalisten, die sogar eine Gefahr darstellen für unsere Gesellschaft?

Trügerische Bilder
Währenddem das Schweizer Fernsehen von den Spielen des FC Basel die schönsten, packendsten und spannendsten Bilder zeigt, wurden in den früheren Jahren vom Christustag vor allem Bilder von der Tribüne gezeigt, die sich hinter der Bühne befand. Wen erstaunt es, dass dieser Tribünenabschnitt alles andere als prallvoll war? Als Alternative konnte man noch das Einziehen des Opfers sehen, damit man erkannte, um was es schliesslich beim Christustag geht… Das liebe Geld offensichtlich!

Es könnte so der Eindruck entstehen, dass der Unterschied zwischen einem Fussballmatch und dem Christustag darin besteht, dass an einem Spiel viele Fans und ein Häufchen Fanatiker teilnehmen, während am Christustag die Fanatiker deutlich in der Überzahl sind und sich vielleicht noch ein paar „harmlose Fans“ an den christlichen Grossanlass verirrt haben.

Blinde Begeisterung
Genug der Provokationen! Eigentlich geht es doch darum, aufzuzeigen, was Fanatismus ist. Und vielleicht hat der Einstieg ein wenig gezeigt, dass das ja gar nicht so einfach ist. Laut dem Duden „Herkunftswörterbuch“ kommt der Begriff aus dem Französischen und bedeutete ursprünglich so viel wie „blinde, hemmungslose Begeisterung“. Das Adjektiv „fanatisch“ bezog sich früher ausschliesslich auf den religiösen Bereich. Es stand da für „schwärmerisch“. Im 19. Jahrhundert wurde entdeckt, dass es auch ausserhalb des religiösen Daseins zu Fanatismus und Schwärmerei kommen konnte, zum Beispiel im politischen Bereich.

Von der Gottheit ergriffen
Interessant ist der lateinische Ausdruck „fanaticus“: Dieses Sakralwort bedeutete eigentlich: „Von der Gottheit ergriffen und in rasende Begeisterung versetzt“. Währenddem der erste Teil für uns noch recht akzeptabel, ja sogar eindrücklich klingt, blinken beim zweiten Teil wohl die Alarmlichter. „Rasende Begeisterung“ – das tönt gefährlich, zumindest für uns brav-biedere Schweizer und wohl auch für unsere grossen Nachbarn nördlich von uns. Ja keine Emotionen zeigen – schliesslich sind wir nicht an einem Fussballspiel! Ordnung muss sein – doch wie war das mit David, als der so wild vor Begeisterung tanzte… Nun, Michal hat ihm den Tarif schon angegeben!

Vom Fan zum Fanatiker
Ein Fan ist von unserem Verständnis her ein begeisterter Anhänger. Was aber, wenn ein Fan zu einem Fanatiker wird? Wo liegt die Grenze? Und wer entscheidet eigentlich, was Fanatismus oder einfach nur Begeisterung ist? Mitentscheidend ist wohl der Ausgangspunkt: Aus welcher Optik schaue ich hin?

Für einen richtigen Fussballfan ist einer, der während einem Spiel laut schreit und Emotionen zeigt, noch lange kein Fanatiker. Für einen extremen Anti-Sportler kann schon das Zuschauen eines Spiels Fanatismus bedeuten. Für einen Atheisten sind Christen, die an sich vielleicht ganz harmlose Mitläufer sind, schon sehr gefährdet. Und für andere ist die Zugehörigkeit zu irgendeiner Partei Grund zur Annahme, dass es sich beim Parteigänger um einen Fanatiker handeln könnte. Und wie ist es mit Tierschützern, bei denen der Eindruck besteht, dass ihnen das Leben von Tieren wichtiger sei als dasjenige von Menschen? Sind solche Menschen nun Fanatiker – oder wie sollten sie bezeichnet werden?

Die ursprüngliche Bedeutung von „blinde, hemmungslose Begeisterung“ scheint doch recht treffend zu sein. Dort, wo eine Begeisterung blind macht, da kann das tatsächlich zu Problemen führen. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Dort, wo das „Fan-Sein“ zerstörerische Ansätze annimmt, da ist die Schwelle vom Fan zum Fanatiker überschritten. Wo in Blindheit alles, was sich dem Objekt der Begierde in den Weg stellt, angegriffen, verletzt oder gar ermordet wird, da herrscht Fanatismus in Reinkultur.

Glaube und Fanatismus
Nicht selten werden Christen als Fanatiker bezeichnet. Zum Teil geschieht das wohl gar nicht zu unrecht. Da, wo Christen blind sind für Andersdenkende und diesen am liebsten den Kopf einschlagen würden, gehen sie am Auftrag vorbei. In der Kirchengeschichte gibt es einige Negativbeispiele, wie auch Christen im blinden Fanatismus Menschenleben ausbliesen, anstatt den Menschen mit dem Evangelium das Leben zu bringen. In verschiedenen Religionen gibt es auch in den heutigen Tagen radikale Gruppierungen, die einen blinden Fanatismus an den Tag legen und buchstäblich über Leichen gehen, weil sie meinen, ihrem Gott so dienen
zu können. Wo aber Eifer für Gott lebensfeindliche, anstatt lebensfreundliche Auswirkungen hat, da herrscht ein Fanatismus, der nicht akzeptabel ist.

Moderne Schimpfwörter
Nicht immer herrscht wirklich Fanatismus, wo Gläubige als Fanatiker beschimpft werden. Oft wird dieser Begriff einfach missbraucht, um Gläubige in ein schlechtes Licht zu rücken. „Fundamentalist“ oder „Fanatiker“ werden nicht selten einfach als Schimpfwörter für Gläubige verwendet. Etwas paradox ist dabei die Tatsache, dass diese Vorwürfe häufig aus dem Munde solcher kommen, die besonders laut nach Toleranz und Liebe schreien. Beinahe macht es den Eindruck, dass gerade in solchen Kreisen stark fanatische Tendenzen zu erkennen sind. So gesehen könnte solchen Fanatismus-Vorwürfen mit einer Art heiliger Gelassenheit entgegengetreten werden.

Begeisterung statt…
“ Das Wichtigste ist Begeisterung!“: So lautet das Motto „meines“ Gospelchorleiters. Begeisterung können wir nicht einfach so machen. Begeisterung ist Beziehungssache. Als Christen sind wir zu einem begeisterten Leben berufen. Das ist ein Leben unter der Leitung des Heiligen Geistes. Wo echte Begeisterung fehlt, droht Fanatismus. Da stellt sich die berechtigte Frage: Ist Begeisterung im Blick auf unseren Herrn für uns und auch für unsere Mitmenschen erfahrbar? So gesehen stehen wir vor der Wahl, begeistert oder fanatisch zu sein. Da ich der Überzeugung bin, dass es bereits zu viele Fanatiker gibt, möchte ich mich lieber für die Begeisterung entscheiden. Ich möchte ein begeisterter Anhänger von Jesus Christus sein, der all unseren Mist und auch allen blinden Fanatismus am Kreuz von Golgatha auf sich genommen hat. Ja, dieser Jesus Christus liebt sogar Fanatiker und möchte, dass auch sie zu wahren Nachfolgern werden, indem sie erkennen, dass das Evangelium Leben und nicht Tod bringen möchte. In einer Welt voller Egoismus, Machtgebärden und vieler Negativ-Botschaften tut es gut, von Jesus begeisterte Menschen an der Arbeit zu wissen. Wir wollen fairen Sport und keine blinden Fanatiker! Das ist gut – aber was wir noch viel mehr brauchen, sind begeisterte Christen!

Thomas Prelicz