Ein kritisch denkender Zeitgenosse verirrte sich in der Wüste. Die unbarmherzige Sonnenglut hatte ihn ausgedörrt. Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. „Aha, eine Fata Morgana“, dachte er, „eine Luftspiegelung, die mich narrt. Denn in Wirklichkeit ist da gar nichts!“ Er näherte sich der Oase, aber sie verschwand nicht. Er sah immer deutlicher die Dattelpalmen, das Gras und vor allem die Quelle. „Natürlich, eine Hungerfantasie, die mir mein halb wahnsinniges Gehirn vorgaukelt“, dachte er, „solche Fantasien hat man bekanntlich in meinem Zustand. Jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln — eine Gehörhalluzination! Wie grausam die Natur ist!“ Kurze Zeit später wurde er von zwei Beduinen tot aufgefunden. „Kannst du so etwas verstehen?“, sagte der eine zum anderen, „die Datteln wachsen ihm beinahe in den Mund! Und dicht neben der Quelle liegt er verhungert und verdurstet!“.
Neukirchener Kalender 2. Mai 2013 / 18. KW