Wir sind kreuzförmig!

Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Markus 8,34). Die Selbstverleugnung meint nicht, dass ich nicht ich selbst sein darf. Sie bedeutet vielmehr, dass ich die Ego-Ebene übersteige, das Ich loslasse, um zu meinem wirklichen Wesen zu gelangen, zu meinem Selbst. Und das Kreuz auf sich nehmen heißt nicht, dass ich mir künstlich das Leben schwer mache und ständig nach Opfer und Verzicht suche, sondern dass ich mich aussöhne mit meinem Leben, das mich oft genug durchkreuzt, ohne dass ich es will. Mein Kreuz auf mich nehmen heißt, mich annehmen mit meinen Gegen­sätzen. Ich spüre Gutes und Böses in mir, Licht und Dunkel, männliche und weibliche Züge, Güte und Hass, Zärtlichkeit und Sadismus.

All das soll ich annehmen als einen Teil von mir, dazu will mich Jesus mit seinem Wort vom Kreuztragen ermutigen. Und er will damit auch sagen, dass ich mich mit meinen verschiedenen Ebenen annehme, die alle ihr Recht fordern, die zwar übersprungen, aber nicht aufgelöst werden können: die Ego-Ebene mit ihrem Bedürfnis nach Anerkennung, Erfolg, Zuwendung, Angstfreiheit, Ich-Stärke, Besitz und Macht, die Ebene des Leibes mit seinem Anspruch auf Lebendigkeit, Gesundheit, auf Befriedigung seiner Bedürfnisse wie Schlaf, Essen und Trinken, und die Ebene des Selbst, auf der ich zu meinem eigentlichen Kern finde.

Wir sind von unserem Wesen her kreuzförmig. Wir sind an unser Selbst angenagelt. Und wir müssen uns selbst aushalten mit den Gegensätzen, die uns manchmal zu zerreißen drohen. Aber wenn wir sie annehmen, entdecken wir doch in uns eine Mitte, die all die verschiedenen Stre­bungen in uns zusammenhält. Das Kreuz macht uns weit, wenn wir es annehmen. Und es macht uns offen.
Anselm Grün “ Mit Herz und allen Sinnen“ –

gefunden im Gemeindebrief April 2009 der Katholischen St. Gebhardt Gemeinde, Konstanz