Ist Fernsehen unsere Ersatzreligion?

Fernsehen als Ersatzreligion: Der Moderator wird zum Beichtvater
Auf viele Menschen wirkt der Programmablauf wie eine Liturgie des Alltags
Das Fernsehen übernimmt nach Ansicht der katholischen Theologin und Publizistin Elisabeth Hurth (Wiesbaden) immer mehr Aufgaben, die früher der Kirche vorbehalten waren.
H a m b u r g – Als Beispiel führt sie in der evangelischen Zeitschrift „Junge Kirche“ (Hamburg) Fernsehtalkshows à la „Fliege“ an, in der Menschen ihr Schicksal offenlegen und ihre Verfehlungen bekennen. Die Moderatoren solcher Gesprächsrunden, allen voran der evangelische Pfarrer Jürgen Fliege, erhöben einen religiösen Anspruch und seien so für Teilnehmer und Zuschauer eine Art „Beichtvater“ geworden, schreibt sie. Hier übernehme das Fernsehen religiöse Aufgaben: trösten, segnen und die Welt deuten. „In einer Zeit, in der die christliche Beichte unverständlich geworden ist und kaum noch praktiziert wird, stößt das Fernsehen auch in diese Lücke vor“, so Frau Hurth. Dieses elektronische Medium sei damit zu einer Instanz mit religiöser Vollmacht geworden, die Vergebung und Versöhnung vermittele.

Fernsehen ähnelt Stundengebeten
Ferner bringe das Fernsehen durch seinen immer wiederkehrenden Programmablauf Struktur in den Alltag. Diese zeitlichen Abläufe, die Hurth als „TV-Rituale“ bezeichnet, gäben vielen Menschen Orientierung – eine Aufgabe, die bislang ebenfalls der Religion vorbehalten gewesen sei. Das Fernsehprogramm begleite den Alltag wie eine Liturgie. So habe der Heidelberger Theologe Günter Thomas diesen liturgischen Programmablauf mit den Stundengebeten der Kirche verglichen. Die religiöse Dimension des Fernsehens habe aber keine Folgen, kritisiert Frau Hurth. „Was im Fernsehen wie Religion wirkt, bleibt letztlich ohne Wirkung und erfaßt das alltägliche Leben gerade nicht mehr.“ Man müsse nach den Ursachen für diese „Ersatzreligion“ fragen, denn gerade hier liege die Chance von Theologie und Kirche, „deutlich zu machen, daß der christliche Glaube mehr anzubieten hat“.

Autor: Evangelische Nachrichtenagentur idea