Hölle oder Erquickung!
Auf Kreta wird von einem berühmten Eremiten, dem heiligen Vater Makarios, der im 4. Jahrhundert in Ägypten lebte, folgende Geschichte erzählt: Vater Makarios wandert einmal durch die Wüste des Nillandes und stößt auf einen Schädel im Wüstensand. Er spricht ihn an: „Wer bist du?“ – „Ich war Priester der Heiden“, war die Antwort des Schädels, „wenn du für die Menschen betest, die in der Hölle sind, erfahren sie große Erquickung.“ Darauf Vater Makarios: „Wir stehen da mitten in den Flammen. Unsere eigentliche Qual aber ist, dass man uns dort Rücken an Rücken gefesselt hat, so dass der eine das Gesicht des anderen nicht sehen kann. Das ist die eigentliche Hölle. Wenn du aber für uns betest, werden die Fesseln lockerer, und wir können uns sehen. Das ist die Erquickung!“
Man lebt ganz nah beieinander und ist doch gegeneinander gekehrt. In Ehen und Familien, unter Nachbarn und Freunden, Arbeitskollegen und Mitarbeitern gibt es diese Not des „Rücken an Rücken“. Manche Fesseln von Bitterkeit und Neid, Eifersucht und Missgunst, Egoismus und Rücksichtslosigkeit verhindern, dass wir uns ins Gesicht sehen und begegnen können. Wirklich, das ist die Hölle auf Erden, wo miteinander verbundene Menschen sich nicht mehr zu Gesicht bekommen, sondern gefesselt und gelähmt einander den Rücken zeigen.
Die alte Wüstengeschichte aber weiß um eine Lösung, um die Lösung von der lähmenden Fessel: „Wenn du für uns betest, werden die Fesseln lockerer, und wir können uns sehen. Das ist die Erquickung.“
Axel Kühner: Überlebensgeschichten für jeden Tag Aussaat Verlag, S. 250, 1994