1.Mose12,1-9
1. Rückblick
Das Leben deutet sich in der Erinnerung. Der Text, den wir im 1. Mose 12 lesen können , ist im Rückblick geschrieben. Jahrhunderte später, als Israel darum ringen musste, wie es Gott die Treue halten kann, hat Israel aus der Erinnerung der mündlichen Tradition die Erzählung von Abrams Aufbruch festgehalten.
Wir wissen nicht, welche historischen Tatsachen dieser Erinnerung zu Grunde liegen. Wir wissen nur, dass mündliche Tradition damals weit mehr bewahrt wurde, als dies in späterer Zeit der Fall ist. Wir sehen aber auf jeden Fall deutlich, dass die Erinnerung nicht um der Fakten willen festgehalten wurde, sondern weil sich darin die Gegenwart deutet.
Die Menschen erinnern sich daran, dass das Leben auf Verheißung gebaut ist, auf Gottes Verheißung. Sie erinnern sich daran, dass alles, was wir haben, nur möglich ist, weil ihm ein Aufbruch zu Grunde liegt. Sie wissen, dass dies ihre Existenz prägt, bis heute. Gott ruft zum Aufbruch, auch und gerade dann, wenn wir meinen, im Lande fest verwurzelt zu sein.
2. Aufbruch
Was an Abraham beeindruckt ist die Radikalität, mit der er den Neuanfang wagt. In der Verdichtung der Erinnerung ist nichts von Zögern. Es ist eine für ihn zentrale Erfahrung, dass es für ihn nur einen Gott gibt – und auf diesen Gott vertraut er. Diese Erfahrung bleibt. Sie macht es möglich, auch im neuen Land ein Aufbrechender zu bleiben. Wichtig ist zweitens, dass für Abraham einerseits der Aufbruch die Loslösung von seiner Sippe bedeutet; andererseits bricht er nicht allein auf. Menschen gehen mit ihm. Sein Aufbruch wird damit für das ganze Volk Gottes zum zentralen Ereignis. Darin bleibt eine Erfahrung gültig, dass Aufbruch eines Menschen immer zugleich bedeutet, mit anderen unterwegs zu sein.
Nicht jeder in der Gruppe wird Abrahams Begeisterung geteilt haben. Und das autoritäre Modell, dass der Clanchef bestimmt, wann es losgeht und wohin es geht, taugte schon zur Zeit des Volkes Israel nicht mehr. Aber es bleibt, dass wir uns gegenseitig stützen und motivieren, den Aufbruch zu wagen.
3. Ankommen
Und schließlich berichtet die Lesung von der Ankunft. Es ist nicht ein starres Sesshaftwerden, aber doch ein Ankommen. Symbol dafür ist der Altar, den Abraham baut. Er erneuert seine Gottesbeziehung dort, wo er ist.
Diese Schritte des Aufbrechens und Ankommens werden imText als verdichtete Erzählung in teilweise archaischen Bildern vermittelt. Aber gerade die Abstraktheit der Erzählung, das weithin leere Bühnenbild, macht es möglich, dass zu jeder Zeit Menschen mit ihren Erfahrungen in dieses Muster des Glaubens einsteigen können. Der Semester- und Studienbeginn ist solch ein Aufbruch. Im Blick auf Abraham kann er dieser Beginn ein Aufbruch mit Gott werden und sein Ankommen ein Muster für unser Ankommen hier.
Für uns ist dieses Muster geprägt durch die Offenbarung der Gegenwart Gottes in Jesus Christus. Weil wir in der Taufe seine Freunde geworden sind, haben wir in ihm einen Ort gefunden, unser Leben zu verwirklichen. Das Johannesevangelium nennt das „Bleiben in Christus“: „Bleibt in meiner Liebe!“ Zugleich ist aber dieses Bleiben ein Aufbruch: Hin zu anderen Menschen, hin zu dem, was uns herausfordert: „Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“
Anregungen und Kritik bitte an Martin.Loewenstein@Jesuiten.org