Frei zum lasterhaften Leben?
Biblische Grundlage: Galater 5,16-21
„Über den Wolken … muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Ich sitze im Flugzeug. Die Düsentriebwerke dröhnen bedrohlich. Ich bin angespannt. Das Flugzeug steht auf der Startbahn. Plötzlich ein Aufheulen. Die Maschine setzt sich in Bewegung, wird schneller und schneller, hebt ab, steigt höher, immer höher durch die Wolkendecke. Dann ist er da. Der Moment, in dem die Maschine durch die Wolken bricht. Ich sehe die ersten Sonnenstrahlen. Sie dringen durch die Fenster. Ich spüre sie auf der Haut. Sie dringen durch bis in meine Seele. „Aahhh!“ – Tief durchatmen. Ich lasse alles hinter mir. So hoch, so weit, wie das Flugzeug fliegt, so weit lasse ich den Alltag hinter mir. Freiheit. Grenzenlose Freiheit gibt es wohl nur über den Wolken…
Bis zum Absturz
Etwas realistisch und nüchterner betrachtet, sieht die Wirklichkeit, die der Liedermacher Reinhard Mey in seinem Lied beschreibt, etwas anders aus. Die grenzenlose Freiheit beobachte ich aus einem Flugzeug, das mir Grenzen gibt. Ohne das Flugzeug würde ich abstürzen. Ich könnte die „grenzenlose“ Freiheit nur solange geniessen, wie ich brauche, um aus einigen tausend Metern Höhe auf die Erde abzustürzen. Der Absturz führt am Ende zum Tod. Grenzenlose Freiheit führt zum Tod. – Zugegeben, es ist nur ein Bild. Aber ist die Realität wirklich anders?
Fatale Auswirkungen
Tatsächlich verstehen wir unter Freiheit oft genau diese grenzenlose Freiheit. Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich will. Ich bin frei, zu trinken, zu rauchen, Drogen zu konsumieren, meinen Körper auszubeuten, meine sexuelle Lust auszuleben – kurz, ein „lasterhaftes“ Leben zu führen. Freiheit bedeutet dann seltsamerweise, mich selbst und andere zu zerstören, indem ich meinen Egoismus voll auslebe. Der Apostel Paulus beschreibt die Auswirkungen der so verstandenen Freiheit in einer ganzen Liste im Galaterbrief, Kapitel 5, Verse 19 bis 21. Seltsam ist daran vor allem, dass das Ergebnis einer so verstandenen und ausgelebten Freiheit oft zerstörerische Abhängigkeiten sind (zum Beispiel Suchtabhängigkeit von Drogen, Rauchen, Alkohol, Sex usw.), bis hin zum Tod.
Frei sein wovon?
Paulus setzt sich im ganzen Galaterbrief, besonders in Kapitel 5, intensiv mit der Frage der Freiheit auseinander. Er stellt eindeutig fest: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Galater 5,1). Christsein bedeutet: Frei sein! Und beinahe im gleichen Atemzug muss auch Paulus ergänzen: Aber passt auf, wie ihr diese Freiheit versteht! – In Galater 5,13 macht Paulus klar: Nicht das ist Freiheit, wo ich grenzenlos meinen Egoismus, meine Lüste und Begierden auslebe. Diese „Freiheit“ führt mich nur in neue Abhängigkeiten. Wirkliche Freiheit bedeutet frei sein von mir selbst.
Lesen Sie an der Stelle bitte einmal Römer 7,17-24!
Die Erkenntnis
Paulus will Gutes tun. Er will ein guter Mensch sein. Er will, dass sein Leben Gott ehrt. Gleichzeitig muss er feststellen: „Das Böse, das ich nicht tun will, das tue ich!“ (Römer 7,19). Mit welchen Schwächen, vielleicht sogar Lastern mag sich Paulus wohl herumgeschlagen haben? – Es ist tröstlich, zu merken, dass er auch nur ein Mensch war wie du und ich.
Aber Paulus hat hier etwas Wichtiges erkannt: Unfrei bin ich vor allem im Blick auf mich selbst – unfrei, zu tun, was ich will, was ich als gut erkenne. Frei sein heisst eben nicht, eigenen Egoismus auszuleben, sondern vom Egoismus frei zu werden. Frei sein von sich selbst. Frei sein für Gott und für andere. Ein Mensch, der das erlebt, wird frei, um andere Menschen vorbehaltlos anzunehmen, sie zu lieben und ihnen zu dienen (Galater 5,13).
Ursprung vieler Laster
Freiheit von mir selbst ist das eine. Genau so wichtig ist aber, frei zu sein von anderen. Viele Laster haben ihren Ursprung in der Abhängigkeit von anderen Menschen. Alle in der Gruppe rauchen, also mache ich es auch. Alle in der Klasse kiffen, da muss ich es doch auch probieren. Die „Freiheit“, etwas auszuprobieren, ist in Wirklichkeit der Zwang, kein Aussenseiter zu sein. Frei sein bedeutet also auch, frei sein von anderen (Psalm 118,6; 56,6.12) – keine Angst haben, was sie über mich denken oder reden, ich selbst sein. Gottes Freiheit macht uns frei von der Bindung an andere Menschen.
Der Weg zur Freiheit
Welche Schritte können wir auf diesem Weg in die Freiheit gehen? – Paulus sagt: Es geht nur aus der Kraft des Heiligen Geistes (Galater 5,16-18). Wir brauchen göttliche Hilfe im Kampf gegen den Egoismus und Abhängigkeiten. Gott verspricht, uns mit der Kraft des Heiligen Geistes zu versorgen, wenn wir ihn bitten (Lukas 11,13). Dann können wir Schritte in die Freiheit wagen.
Der Jünger Petrus hat das einmal ganz konkret erlebt (Matthäus 14,27-31). In seinem „Seewandel“ erkennen wir vier Schritte in Gottes Freiheit, die auch uns inspirieren können:
1. Ich entscheide mich, Gottes Willen zu tun.
2. Ich wage einen ersten, vielleicht kleinen Schritt.
3. Ich rechne mit Gottes konkreter Hilfe.
4. Jesus hilft auf, wenn ich versage.
Karsten Guhl