„Lebenshilfe […] Im allgemeinen ist für uns das Gebet ein Reden des Herzens oder ein Reden des Mundes. Immer wird etwas gesagt. Immer muß etwas formuliert werden. Aber manchmal werden die gesprochenen Gebete deshalb so leer und formelhaft, weil sie immer in Worten bestehen. Ich habe im Lauf meines Lebens mehr und mehr gefunden, daß ich auch vor Gott sein kann, ohne zu reden. Wenn ich glaube, daß Gott mein Wort hört, dann ist mein Wort im Grunde unnötig. Dann hört Gott auch, was ich denke, ohne es auszusprechen. Dann sieht Gott, was in mir ist, und nimmt mich an, wie ich, ohne Wort, vor ihm anwesend bin, mich vor ihm ausbreite, ohne mich oder irgend etwas in mir zu verbergen. Wenn Menschen um mich sind, die von mir Worte des Gebets brauchen, dann bete ich mit Worten, aber mein eigenes Gebet wurde im Lauf meines Lebens immer leiser, bis es heute fast nur noch in meiner wortlosen Gegenwart vor Gott besteht, einem wortlosen Hören auf das, was Gott redet, und einem wortlosen Nachsprechen dessen, was Gott mir sagt. Anwesend sein vor Gott ist im Grunde schon das Ziel. […] Denn bei allem Nachdenken über Gott und mich selbst finde ich, daß weniger dies das schwierigste Problem ist, ob Gott gegenwärtig sei, sondern das andere, ob ich selbst die Kraft habe, vor ihm anwesend zu sein. […] Jörg Zink aus ‚Sieh nach den Sternen – gib acht auf die Gassen. Erinnerungen‘ (1992)